Interview mit Helmut Haas (INNEO)
Automatisierung der Konstruktion: Wunschtraum oder Wirklichkeit

Kommt nach der Automatisierung der Fabrik nun die Automatisierung der Konstruktion? Werden die Computer den Konstrukteur ablösen? Lohnt es sich überhaupt, an den "kreativen" Tätigkeiten etwas zu automatisieren?

Fragen an Helmut Haas, Geschäftsführer der Firma Inneo in Ellwangen, die sich schon intensiv mit Automatisierungsprojekten im CAD-Umfeld befasst hat.

NL: Herr Haas, was versteht man denn bei Inneo unter der Automatisierung der Konstruktion? Manche meinen ja, eine intelligent gemachte Verbauung von Normteilen sei bereits eine Konstruktionsautomatisierung.

Haas: Automatisierung, so wie wir sie verstehen, wird am ehesten durch den englischen Begriff "knowledge based engineering" verdeutlicht, also Wissensverarbeitung im Engineering.

Was heißt das inhaltlich?

Es geht los mit einer gewissen Standardisierung und damit einhergehend einer Strukturierung von Produkten, was allein schon einen automatisierenden Charakter haben kann. Dann geht es weiter mit der Auswahl geeigneter Tools, im einfachen Fall, oder ganzer Systeme. In manchen Fällen geht es auch um die Integration von Systemen.

Konkret gesprochen: Wenn ich bei Pro/Engineer über die Möglichkeiten der Parametrik hinausgehe und die Programmierschnittstelle benutze, um damit immer wiederkehrende Abläufe abzubilden, werden diese automatisiert. Ich kann die Schnittstelle aber auch benutzen, um z.B. einen vorhandenen Konfigurator anzuschließen. Das alles gehört nach unserem Verständnis zum Thema Automation, um nur weniges anzudeuten.

Wenn wir schon von Wissensverarbeitung sprechen, wo wird das Wissen gehalten, in den CAD-Systemen oder außerhalb, was ist besser?

Sowohl als auch. Wenn man Pro/Engineer-Routinen schreibt, ist man sehr nahe am CAD-System. Wenn wir einen Konfigurator anschließen, steckt das Wissen dort drin. Welchen Weg man wählt, hängt von der Aufgabestellung ab und von den Voraussetzungen, die beim Kunden gegeben sind. Entscheidend für das Unternehmen ist jedoch die Dokumentation des Know-Hows, es ist dadurch reproduzierbar und wiederverwendbar.

Es geht dabei natürlich auch um das Thema Datensicherheit. Steckt das Wissen in meinen Modellen und gebe ich diese weiter, so fließt auch mein Wissen mit.

Das ist nicht von der Hand zu weisen und spricht dagegen, das Wissen in die Modelle zu geben. Wenn man aber das Wissen in Routinen packt, die außerhalb des CAD-Modellkerns ablaufen und wo dann erst das Ergebnis daraus ins CAD-Modell einbezogen wird, dann ist das 'Mitfließen' des Wissens ausgeschlossen.

Damit hätten wir auch ein erstes Kriterium, das es zu beachten gilt. Wissensrepräsentation und CAD-Modell sollten möglichst getrennt sein?

So weit wie möglich, ja

Was kann Inneo heute konkret anbieten in Sachen Automatisierung der Konstruktion?

Wir arbeiten auf mehreren Ebenen der Automatisierung. Im einfachsten Fall geht es schon mit der Erarbeitung von Richtlinien los: Wie können die vorhandenen Ressourcen eines Unternehmens so eingesetzt werden, dass sich ein Automatisierungseffekt ergibt? Das ist im Grunde ein einfacher Know How Transfer.

In der nächsten Ebene geht es darum, alle Möglichkeiten zu nutzen, die es rund um Pro/Engineer gibt. Unsere Pro/Engineer Benutzerumgebung Startup Tools beinhaltet bereits ein grafisches Bibliotheks- und Variantenmanagement. Die Nutzung dieser Funktionen erfordert keine Programmierkenntnisse und ist recht einfach.

Des Weiteren nutzen wir die Visual Basic Schnittstelle, Automation Gateway, den Pro/Toolkit, den Weblink, um das Wissen des Kunden in eine programmierte Systemumgebung zu bringen.
Und in einer weiteren Ebene können dann auch Fremdsysteme mit einbezogen werden, wie Berechnungswerkzeuge, Konfiguratoren oder kaufmännische Systeme.

Das geht aber nicht auf 'Fingertip'?


Helmut Haas, Geschäftsführer Inneo:
"Wir arbeiten auf mehreren Ebenen
der Automatisierung ..."

Nein. Hierfür ist eine Projektphase notwendig, in der wir lernen, wie der Kunde arbeitet und in der ein Anwender lernt, welche Möglichkeiten der Realisierung wir zu bieten haben. Meist gibt es ja mehrere Wege. Dazu gehört auch die Abschätzung von Aufwendungen, die dann ebenfalls auf den einen oder anderen Weg verweisen. Am Ende wird ein Lösungsweg gewählt und in einem Pflichtenheft festgeschrieben. Danach geht es an die Realisierung. Das ist meist unser Part, bis hin zur Testphase, zur Abnahme und zum produktiven Betrieb.

Also nichts mit kaufen, einschalten, loslegen, wie bei einem Standard-CAD-System?

Genau im Gegenteil, es geht um eine breite Interaktion zwischen dem Anbieter und dem Anwender. Man muss genau schauen, was möglich ist, und man muss genau definieren, was man will. Beide Seiten müssen bereit sein, sich auf eine Partnerschaft einzulassen, sonst wird es nichts.

Benutzen Sie für die Realisierung nur die Pro/E-Tools oder auch andere?

Sobald wir über die Programmierschnittstelle gehen, sind wir praktisch nicht begrenzt in dem, was wir an zusätzlichen Programmen noch einsetzen

Wie groß ist denn das Interesse an diesem Thema bei der Kundenbasis?

Das Interesse nimmt stetig zu. Der Begriff Automatisierung ist jedoch von Vorstellungen aus der Fertigung geprägt, die im Konstruktionsumfeld nicht zielführend sind. Um dieses Wissensdefizit abzubauen, bleibt uns zur Zeit nichts anderes übrig, als in Eins-zu-eins-Gesprächen genau zu erklären, was möglich ist. Das kostet Zeit und verhindert im Augenblick eine größere Dynamik. Gleichwohl ist das vorhanden Nutzenpotential immens.

Gibt es den schon konkrete Fallbeispiele?

Erfreulicherweise können wir trotz des vorher Gesagten bereits eine ganze Reihe von erfolgreichen Projekten vorweisen. Sie erstrecken sich über recht verschiedene Firmen und Einsatzfälle: Von der Automatisierung der Konstruktion einfacher Werkzeuge bis hin zu komplexen Aufgabenstellungen im Maschinen- und Anlagenbau. Selbst die Simulation von Verladevorgängen in einem Reedereibetrieb wurde von uns realisiert.

 
Die Grafik zeigt, wie signifikant Konstruktionsvorgänge durch Automatisierungslösungen verkürzt werden können. Die Zahlen stammen aus einem konkreten Inneo-Projekt.

Können Sie hier konkreter werden?

Sofern Sie mir erlauben, die Firmennamen zu verschweigen, schon.

Bitte.

Im Bereich der Werkzeuge haben wir bereits mehrere Projekte durchgeführt, die den Konstrukteuren geholfen haben, viel Routinearbeiten loszuwerden, die Prozesse sicherer zu machen und signifikante Zeiteinsparungen zu erzielen. Wenn ich ein konkretes Beispiel herausgreife, dann wurden z.B. 4 Stunden Bearbeitungszeit auf 20 Minuten verkürzt. Das ist enorm und bringt uns eine sehr kurze Zeit für den ROI, die sich in Monaten rechnet und nicht in Jahren.

In einer ganz anderen Branche, im Zeltbau, konnte unsere Lösung die Konstruktionszeit von 8 Stunden auf 3 Stunden verkürzen. Sie hat sich in nur 6 Monaten gerechnet!

Weitere Themen, die wir automatisiert haben, sind u.a. Steckverbindungen, Türen, Tore, Zargen etc. Auch bei antriebstechnischen Komponenten und sogar bei Bergbaumaschinen gab es ein Projekt. Wie man sieht, das Spektrum ist wirklich breit.

Wenn man ihren Zahlen folgt, liegen die Ratiopotentiale nicht bei 10, 20 oder 30% sondern eher bei 100, 200 oder 300%?

Davon können Sie ausgehen. Wir haben hier einen ganz anderen "Hebel", als bei der Einführung eines Standard-CAD-Systems. Natürlich ist die Einführung eines modernen parametrischen 3D-Systems eine Voraussetzung für die weitere Automatisierung der Konstruktion. Wenn diese Hürde aber erst einmal genommen ist, kann man die genannten Fortschritte dann schnell erzielen. Viele CAD- Entscheidungen von Firmen machen erst vor diesem Hintergrund wirklich Sinn.

In welchen Schritten läuft ein Projekt für die Automatisierung der Konstruktion ab?

Der erste Schritt ist die gegenseitige Informationsphase. Hier ist sehr viel Offenheit gefragt, damit wir erkennen, was der Kunde tut, was er schon an Tools, vielleicht sogar an Teillösungen hat und wo wir am sinnvollsten beginnen können. Und wie ich schon angedeutet habe, der Kunde muss auch erkennen, welche Möglichkeiten wir zu bieten haben.

Danach haben wir ein klares Bild von der Aufgabe und können ein Konzept entwickeln. Dieses wird dann präsentiert, auch mit den Aufwänden von Teillösungen, so dass der Kunde Entscheidungen treffen kann. Für den ausgewählten Weg wird anschließend ein konkretes Angebot erstellt.

Die Realisierung wird projektmäßig umgesetzt, mit Feinspezifikation, Projektplan, Meilensteinen, Teilabnahmen, Testphasen, Abnahme und Produktivschaltung des Systems.

Wenn wir jetzt Ihre Fallbeispiele noch einmal beachten, wie lange dauert das?

Die Projekte, die wir bis jetzt realisiert haben, rangierten von einem Monat, bis über ein Jahr. Also durchaus überschaubar.

Gibt es Ihres Wissens konkrete Forschungsarbeiten zum Thema Automatisierung der Konstruktion?

Es gibt eine Reihe von Forschungsarbeiten zur Produktstrukturierung, ausgeführt von mehreren Universitäten und Hochschulen. Auf einer guten Produktstrukturierung können wir aufbauen. Darüber hinausgehende Forschungsansätze, die sich direkt mit unserem Thema befassen, sind mir nicht bekannt.


Ebenfalls ein Automatisierungsprojekt von Inneo, Bergbaumaschinen von DBT

Welche Szenarien darf man in Zukunft erwarten? Werden in 10 bis 20 Jahren drei viertel aller Produkte vom Computer konstruiert?

Das glaube ich nicht. Auch die vorhergehenden Rationalisierungswellen, die Einführung von 2D-CAD und später der Umstieg auf 3D, haben gezeigt, dass die Konstruktion nicht "entmenschlicht" wurde. Freiwerdende Kapazitäten hat man stets genutzt, um anspruchsvolle Aufgaben anzugehen, um mehr Qualität in die Konstruktion zu bringen und natürlich auch, um das Volumen zu erhöhen.

Also reden wir hier nicht über Jobkiller?

Nein. In keinem der von uns durchgeführten Projekte wurden am Ende Konstrukteure entlassen. Es ist vielmehr so, dass sie von Routinearbeiten entlastet wurden und damit Zeit für kreative Aufgaben haben. Ihre Arbeit wurde aufgewertet, nicht abgewertet.

www.inneo.de

- Interview: Karl Obermann -

 

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